* Titel eines Beitrages von Robert Sommer über
dieses Symposion im Augustin Nr. 211/2007Schon
im Vorfeld der von Norbert Siegl (Institut für
Graffiti-Forschung) und mir in der Wienbibliothek im Rathaus
gemeinsam gestalteten Graffiti-Ausstellung über rechtsextreme
Zeichen und Parolen und dann auch am Eröffnungsabend gab es
teilweise heftige Diskussionen, ob es vertretbar (politisch
korrekt) sei, rassistische Graffiti wie „Kill Nigger“ (+
Hakenkreuz) zu fotografieren, dokumentieren und dann noch in
einer ästhetisch gestalteten Ausstellung zu präsentieren? Auch
kam immer wieder die Frage auf, ob für diese meist flüchtig an
irgendwelche Wände hin gekritzelten Zeichen und Parolen
überhaupt der Begriff Graffiti angebracht sei? Sind es nicht
einfach „Schmierereien“, die möglichst rasch von den
öffentlichen Wänden zu entfernen sind?
Theorie und Praxis einer Kultur von Rechts
Diesen und einigen anderen Fragen wie z. B. „Rassistischen
Graffiti als Kultur von Rechts(Extrem)“ nachzugehen, war Inhalt
des in der Wienbibliothek veranstalteten Symposions „graffit.rechts.extrem“.
Eröffnet wurde dieser Diskurs am 21. Sept. 2007 von Sylvia
Mattl-Wurm, Bibliotheksdirektorin, und der
Integrationsstadträtin Sandra Frauenberger, die sich als äußerst
interessiert an dem problematischen Phänomen der rassistischen
Graffiti in der Stadt erwies.
Im ersten Vortrag des Abends skizzierte der profilierte
Devianz-Forscher Rolf Schwendter eine Theorie der
rechten (=
regressiven) Subkultur. Schwendter führte aus: „Die
Institutionen und Normen der regressiven Subkulturen dienen
diesen dazu, einen vergangenen Stand der Gesellschaft, d. h.
beispielsweise Normen, die nicht mehr oder nicht in dieser
Weise, in der gegenwärtigen Gesellschaft wirksam sind,
wiederherzustellen“. Und: „Von den bereits erwähnten regressiven
Normen sind dann auch zumindest diese gleichzeitig als ‚rechte’
zu signifizieren: Elitengesinnung, Prinzip der
Führer-Gefolgschaft, Projektion der jeweiligen Unzufriedenheiten
auf die je anderen (Juden, Schwarze, Ausländer/Ausländerinnen),
eine Vorstellung der Welt als eine Ansammlung mehr oder weniger
deutlich strukturierter Hierarchien, die jenseits
gesamtgesellschaftlicher Reflexionen einer zumeist imaginären
‚Natur’ zugeordnet worden sind. Dazu käme noch die dadurch
erfolgte Legitimation von Gewalt“.
Nach diesen einleitenden theoretischen Ausführungen ging der
Publizist und Rechtsextremismus-Experte Wolfgang Purtscheller
konkret auf die Frage „Was heißt Kultur der extremen Rechten?“
ein und umriss eine Szene „Von der Bekenntnisliteratur zum
Rechtsrock“. Purtscheller stellte fest: „Gerade im
österreichischen Rechtsextremismus drängt es viele führende
Akteure, ihr Bekenntnis zum ‚Deutschtum“ in Reimform
abzufassen.“ Und als Beispiele führt er die Gedichtbände und den
Science-Fiction-Roman „Der Graue“ des die rechtextreme
Wochenzeitschrift „Die Zeit“ herausgebenden Andreas Mölzer oder
einen neonazistischen Schlagertext „Der Jude Kornfeld ist ein
linkes Schwein, der Jude Kornfeld muss in die Gaskammer rein.“
des bekannten Neonazi Gottfried Küssel.
Übertroffen wird solch eine (kriminelle) Ungeheuerlichkeit noch
durch Verse des deutschen Neonazi-Liedermachers Michael Müller
„Bei 6 Millionen Juden, da fängt der Spaß erst an“ (nach Udo
Jürgens Hit „Mit 66 Jahren“ – von Michael Müller z. B.
vorgetragen in der Wiener Hardcore-Burschenschaft „Olympia“).
Und weiters stellte Purtscheller noch fest: „Seit der deutschen
Wiedervereinigung geht der Trend nämlich weg vom neonazistischen
Dichter- und Liedermachertum und hin zum Rechtsrock. Hier werden
systematisch die letzten Tabus einer demokratisch verfassten
Gesellschaft gebrochen. Schon die Namen der Bands sprechen
Bände: Endsieg, Sturmwehr, Zillertaler Türkenjäger, Störkraft,
Landser, Kraftschlag, usw.“ Und abschließend betonte der
Rechtsextremismus-Experte, dass die Neonazi-Kader es zunehmend
gelernt haben, sich in den rechten Subkulturen zu bewegen und
hier neue Anhänger zu rekrutieren. „Rechte Kultur ist kein
Randphänomen mehr, sondern in der Mitte der Gesellschaft
angelangt.“
Graffiti – eine sich selbst regulierende Szene?
Und die vielen fremdenfeindlichen und rechtsextremen Graffiti
sind ein alltäglicher, in der Anonymität entstehender Teil
dieser Kultur von Rechts. Betonen möchte ich in diesem
Zusammenhang aber auch – und das ist meine und Norbert Siegls
Position – dass die Graffiti-Szene in ihrem Kern eine sich
selbst regulierende ist. Das heißt, schauen wir tatsächlich auf
die Wände, so rufen die rechten Parolen und Sprüche meist auch
ihren Widerspruch und eine ihnen entsprechende Reaktion hervor.
So wird z. B. aus dem „Neger raus!“ oft ein „NorwEger voRaus!“
Norbert Siegl thematisierte „Die Indikatorenfunktion der
Graffiti“ und hob hervor, dass diese als politische Barometer
angesehen werden können und Stimmungen (Stimmen) von in der
öffentlichen (veröffentlichten) Meinung zu kurz gekommenen
Kommunikationsbedürfnissen anzeigen. Dies sei vor allem in
Zeiten des Umbruches von Bedeutung und beispielsweise Wahlen
werden oft von vielen anonymen Akteuren zum Anlass genommen,
ihre Meinungen und Ansichtenden Politikern und Politikerinnen
wörtlich – auf Wahlplakaten – ins Gesicht zu schreiben. Diese
Indikatorenfunktion der Graffiti habe sich dann in wesentlichen
Bereichen der Graffiti-Forschung, die Siegl kurz umriss,
niedergeschlagen. So betonte z. B. der im vergangenen Jahr
verstorbene Kassler Graffitiforscher Axel Thiel die
„Menetekelfunktion“ (nach der alttestamentarischen mahnenden
Inschrift an der Wand) bei den meist ungefragten Zeichen und
Schriften an den Wänden.
Ungeachtet dieser von Siegl
betonten Indikatoren- bzw. Menetekel-Funktion der rechtsextremen
Graffiti forderte dann Brigitte Bailer-Galanda,
wissenschaftliche Leiterin des Dokumentationsarchivs des
österreichischen Widerstandes in ihrem Beitrag „Zur Bedeutung
der Dokumentation rechtsextremer Veröffentlichungen“ – die
Selbstregulierung der Graffitiszene in Abrede stellend – dass
diese Graffiti und Schmieraktionen, die nach ihrer Ansicht
wesentliche Einblicke in Stimmungslagen in Stadtteilen bzw.
unter Jugendlichen geben können, nach ihrer Dokumentation
möglichst rasch entfernt werden.
„NS-Symbole, wie das Hakenkreuz oder die SS-Runen, werden auch
durch das Abzeichengesetz verboten, weil damit Werbung für eine
menschenverachtende Ideologie verbunden ist, die nicht einfach
als Meinung abgetan werden kann.
Als Leiterin des DÖW kann ich zusammenfassen: die Dokumentation
rassistischer oder neonazistischer Graffiti kann eine wichtige
Aussage über Stimmungslage und Verbreitung solcher Ideologie
bieten. Auf die Dokumentation sollte aber auch aus Rücksicht auf
die darin Angegriffenen die Unkenntlichmachung bzw. Zerstörung
folgen.“
Diese Position vertrat dann abschließend bei seinem Referat
„Rassistische Beschmierungen – Zur Verharmlosung von Links“ auch
Philipp Sonderegger, Sprecher von SOS Mitmensch. Und er betonte,
dass diese „Beschmierungen“ nicht nur die Botschaft
(Indikatoren) eines in unserer Gesellschaft massiv vorhandenen
Rassismus, sondern als beleidigende Aggression und Versuche
einer Diskurshegemonie an den öffentlichen Wänden selbst das
Problem seien. Da ich mit dieser „Verharmlosung von Links“ u. a.
gemeint war, gab ich meine Rolle als Moderator diese Symposions
ab und nahm in meinem Diskussionsbeitrag eine Gegenposition zu
den NGOs in diesem Bereich (SOS Mitmensch und ZARA) ein.
Ich verstehe die Vorgangsweise der antirassistischen NGOs„ die
Bevölkerung aufzufordern, diese rassistischen Parolen
aufzuspüren, zu melden und evtl. zu überrmalen, überstreichen
oder abzuwaschen bzw. von der Stadtverwaltung reinigen zu
lassen. Doch ich teile diese Auffassung nicht. Ich bin auch
grundsätzlich - und nicht zuletzt auch als Kulturwissenschafter
- gegen Ordnungsmaßnahmen im Graffiti-Bereich. Sind diese doch
als „Aufstand der Zeichen" (Jean Baudrillard) eine der wenigen
lebensnotwendigen chaotischen Elemente in den durch
Verkehrsnotwendigkeiten, Flächenwidmungsplänen, Kommerz,
Parteienpropaganda uva. überreglementierten Städten. Und ich bin
ganz auf der Seite von Norbert Siegl, der diese öffentlichen
Wegwisch-Aktionen als „ein nicht unproblematisches Verdrängen
des Verdrängten“ bezeichnet. Und ich betrachte es als
verhängnisvoll, hier, wie SOS Mitmensch es tut, gleich nach der
Polizei zu rufen und ein „Offizialdelikt“ herbei zu beschwören
oder wie ZARA „Sachbeschädigungen“ zu reklamieren. Das heizt nur
die meist völlig unangemessene offizielle Verfolgung der
gesamten Graffiti- und Street-Art-Szene an.
© Dieter Schrage, Institut für
Graffiti-Forschung,
www.graffitieuropa.org 2008