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Saul Len:

Graffiti in der
links-politischen Bewegung

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(Dieser Text kann nur einzelne Phänomene anreißen, eine vollständige Darstellung würde den Rahmen sprengen)

 

Graffiti in der links-politischen Bewegung: 
Dies ist ein Thema, das zeitlich eingegrenzt werden muss und wenn ich 1968 anfange, dann erst mal mit der Feststellung, dass dies noch die Zeit von Pinsel und Farbtopf war. Graffiti, die diese Zeit hinterlassen hat, sind auf Fotos zu finden und der lokale Schwerpunkt dafür in Frankfurt war die Universität. Dies blieb auch so, als Anfang der 70iger-Jahre die Sprühdose aufkam und die politischen Auseinandersetzungen vor allem in diesem Umfeld sich auch an der Wand niederschlugen. 
Verglichen mit der Größe der 68iger-Bewegung, gab es aber relativ wenig Graffiti, was an dem großen Aufwand lag, mit Pinsel und Farbtopf zu arbeiten. Bei Institutsbesetzungen wurde stets auch an der Wänden gepinselt, als dann Häuser Anfang der 70iger und später besetzt wurden, wurde mit der Dose vom Objekt gewissermaßen auch optisch Besitz ergriffen. Als diese Bewegung endete, führte die weniger aufwendige Sprühdose zu mehr Graffiti, deren Themen durch Vietnam und dem Aufkommen der ML-Parteien bestimmt wurden. 

Inhaltlich entsprachen die Graffiti-Parolen den quasioffiziellen Parolen, wie sie in der Parteizeitung vorgegeben und auf Demos zu hören waren: "Amis raus aus Vietnam", "Sieg im Volkskrieg", "Ami go home", das waren die gängigen Losungen. "Keinen Pfennig für das Thieu Regime" - das war 73 eine Parole, die von der KPD verbreitet wurde. Im AFE-Turm der Universität Frankfurt ist diese Parole noch 2001 erhalten. 

Die verbreiteten Farben waren schwarz und rot, dies waren die gängigsten Farbdosen. Als Zeichen meist Hammer und Sichel, das A im Kreis war noch selten, dieses fand erst ab 80 massenhafte Verbreitung, rückblickend kann man das Anarcho-A als anonymes Tag bezeichnen. 

Die Auseinandersetzungen untereinander dagegen schlugen sich seltener an der Wand nieder. So stand im Hörsaal die Parole: 
"Klassenkampf im eigenen Land" und dazu die Antwort:  "Wer hier vom Klassenkampf redet und unsere Unisituation unberücksichtigt lässt, ist unglaubwürdig".

Die Auseinandersetzung untereinander, sowie der Frust über die Erfolglosigkeit, fand eher an den Klowänden der Uni oder den Kneipen statt, dort wurde sie mit Filzstift und Kugelschreiber geführt. Dort entstanden auch die Graffiti, die später als "Spontisprüche" in Buchform veröffentlicht wurden. Etwa Sprüche wie: "Die Partei ist die Vorhaut der Arbeiterklasse, wenns ernst wird, zieht sie sich zurück". In dieser Form schlug sich oft die Opposition gegen die damalige propagandistische Übermacht der K-Gruppen nieder. 

Auch der Frust über die Theorielastigkeit fand in folgender Form Ausdruck:

"Adorno saß im Kaffee Laum und traute seinen Augen kaum, 
denn wer auf der Straß Pomm Fritten aß, das war Kollege Habermas."

Die Frauenbewegung hinterließ auch in Frankfurt den durchgekreuzten § 218 an den Wänden. In den 80zigern wurden die Parolen der nächsten Generation aggressiver. Auch Auseinandersetzungen mit den "eigenen" Mitkämpfern schlugen sich auf dem Klo im Autonomen Zentrum mit der Forderung: "Männer setzt euch hin" nieder.

Größere Aktionen wie Hausbesetzungen oder der Fahrpreiskampf von 74, fanden ihren Ausdruck in dem Graffito "Nulltarif" das auch auf die Straßenbahn gesprüht wurde. 
Hausbesetzungen führen meist zu den Standardgraffiti wie: "Keine Räumung der ....." oder: "...... wir bleiben drin". Oder auch: "...... bleibt"

Und nach Verhaftungen die Standardlosungen: "Freiheit für......" und: "Sofortige Freilassung von.......".

In den 80zigern wurde "RAF" zum Protestzeichen, auch im Zusammenhang mit den Hungerstreikaktionen und dem § 129a (Unterstützung einer kriminellen Vereinigung), auch mal abgewandelt zu: "Rafft euch auf".

Nach dem Wandspruch: " Wir wollen alles" benannte sich 72 die Zeitung des RK s und hatte das Photo dieser Parole als Titel. Graffiti finden sich relativ selten als Bild in der linken Presse, in den Parteizeitungen als Dokumentation der eigenen Forderung oder in den alternativen Zeitungen. 

Mit dem Aufkommen der Autonomen Zeitungen, fanden Politgraffiti verstärkt auch als Bild Eingang und auch auf Plakaten der Autonomen. In linken Zeitungen hatten Graffitibilder meist die Funktion, die eigenen Forderungen propagandistisch zu verstärken. 77 erschien aber in der Autonomie ein Bild eines gebombten Trains aus New York im Zusammenhang mit Wandmalerei und Writing. Im Pflasterstrand von 81 erschien ein ausführlicher Artikel über Writing in New York, aber noch wurde das hier nicht verstanden. 80/81 erschienen in der linken Presse öfters Bilder von Harald Naegeli, der auch in Frankfurt aktiv war. In späteren Jahren brachten die Stadtmagazine Berichte über Writing, meist von freien Autoren, dagegen wurde dieser Bereich von der Autonomenpresse weitgehend ignoriert. Den ersten Artikel in einer Autonomenzeitung musste ich selbst schreiben.

Bekannt ist das Bild aus Berlin: "Wird Zeit das wir leben" - "Geh erstmal arbeiten" - "Für wen denn?". Einer der seltenen Fälle, wo auf Parolen geantwortet wurde. Dies fand auf der Straße selten statt, sonst eher an Orten, die von den Leuten gemeinsam besucht wurden, also eine interne Öffentlichkeit. So auch auf dem Klo, das von den Zeitungen Pflasterstrand und ID gemeinsam benutzt wurde: "Dem ID gehen die Ideen aus" stand da zu lesen. 

Auf Graffiti reagieren Konkurrenten oder Gegner, so etwa auf Hakenkreuze. Ein bekanntes Spiel, aus dem Hakenkreuz ein Fenster zu machen oder gleich noch als Haus zu ergänzen. Der Dauerbrenner "Nazis raus" ist dagegen so verbreitet, dass es darüber nicht viel zu beschreiben gibt. Noch seltener ist das Verändern von Graffiti, wobei es oft genügt, einen Buchstaben zu verändern. Hier zwei Fälle: "Dieses Haus wird abgerissen". Nach einen weiteren Strich stand dann der Satz:  "Dieses Haus wird abgebissen". 
Nach der Schießerei in Bad Kleinen gab es in Ffm Bockenheim den Wandspruch: "GSG 9, das war Mord". Ein s reichte aus um daraus: "GSG 9, das war Mord´s" zu machen.

Hier ein weiteres Beispiel: An eine Plakatwand (ca. 2000) mit Werbung für Frauenunterwäsche schrieb jemand: "Deutsche Hure". Darunter die Antwort: "Friß dein Kopftuch - Türkenfotze". Darunter zum Abschluss: "Weg mit dem Nazidreck". Hier hat sich Volkes Stimme mal unzensiert ausgetobt.

Graffiti sind die Pressefreiheit der Leute, die keinen Zugang zu den Printmedien haben und es nicht mal zum Flugblatt bringen. "Schwerter zu Kloschüsseln, wir scheißen auf den Frieden." - so etwa äußerte sich der Frust 82 über die allgegenwärtige Friedenspropaganda. Zu dumm auch, das war ich selbst, wenn ich über Graffiti schreibe, werden die Grenzen zwischen Beobachtung und Beteiligung fließend. Was in den linken Medien steht, ist nicht unbedingt das, was die Leute denken, auch da wird zensiert und gefiltert und was nicht in die Printwelt passt, findet auf Klowänden seinen ungelenken Ausdruck. Die Knast- und Hungerstreikkampagne von 81 und in den folgenden Jahren schien auch manche zu nerven und im Kneipenklo machte einer sich mit dem Spruch: "Gefangene raus aus unseren Köpfen" Luft.

Einen Schub an Sprühparolen brachten die Autonomen 80/81 und die Startbahnbewegung, hier waren: "Keine Startbahn West" und: "Startbahn Stop" die Standardlosungen. Eine Plakataktion der Startbahngegner, die den Hessenlöwen mit Schlagzeug darstellte und zu polizeilichen Verfolgungsaktionen führte, hatte neue Graffiti zur Folge. Da reichte ein Filzstift, um den Löwen auf dem amtlichen Schild mit einen Schlagstock nachzurüsten: 

"Deutschland halts Maul" und "Nie wieder Deutschland" - damit fand der Frust über die Wiedervereinigung seinen Ausdruck, andererseits gab es wenig Graffiti, die das Ende einer Ideologie 89/90 zum Ausdruck brachten. Eine Ausnahme war ein Graffito: "Was vom Sozialismus stirbt, das ist die SED und was vom Sozialismus bleiben wird, ist hoffentlich nicht nur die Idee."

 

Hier breitete sich eher Schweigen aus, das erst mit der "Nie wieder Deutschland-Demo" gebrochen wurde und "Deutschland halts Maul" an die Wände brachte. Der Golfkrieg 91 brachte wieder verstärkt Parolen an die Wand und Writer beteiligten sich mit einen "Stop the War"- Train. Durch die massenhafte Verbreitung von Writing führten Politgraffiti sonst in den 90zigern eher ein Schattendasein.

Seitens der Autonomen gab es immer noch den vorgestanzten Spruch: "Amis raus aus ......." und einmal hatte jemand einen hervorragenden Anfall von unfreiwilligen Humor: "Gi's, dont be kanonefodder" - die Zielgruppe dürfte das nicht verstanden haben...


Zum Autor:

Saul Len ist Gründer des Frankfurter Graffiti-Archivs (mit einem Datenbestand von 9.000 Fotos). Neben dem Berliner - und Wiener Graffiti-Archiv ist dies eines der drei großen Dokumentationszentren für Graffiti im deutschsprachigen Raum.

Einen Überblick über die Publikationen Saul Lens im Rahmen des Instituts für Graffiti-Forschung finden sie in der Graffiti-Enzyklopädie online.


2009©: Saul Len (Text und Bilder), Institut für Graffiti-Forschung (Website und grafische Aufbereitung)

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