Graffiti und Street-Art:
News Nr. 119/2004
Institut für Graffiti-Forschung, 0043
699 8139 0029
neu: Street-Art und Graffiti-Museum
Wien -
www.graffitimuseum.at
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29.12.2004 - Graffiti und
Zeitgeschichte:
KURIER, Samstag, 25.12.2004 - Einbeziehung
eines zeitgeschichtlichen Graffitos in die Berichterstattung über
die Wahlen in der Ukraine. "Janukowitsch ist unser
Präsident!" steht auf einem Zaun in Donezk, der Hochburg des
Kandidaten der Regierung. |
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29.12.2004:
Klassische Protestgraffiti an
einem Wiener Arbeitsamt (AMS) gegen "Coaching-Maßnahmen".
Nachdem
der mächtige Apparat AMS im Kampf gegen die Arbeitslosigkeit versagt,
werden Betroffene zu sogenannten Coaching-Kursen
verpflichtet, wo die
Schuld an diesem Zustand den ohnehin
Schwachen der Gesellschaft zugeschoben wird.
Ein weiterer Aspekt
dieser Maßnahmen ist, dass während des Kurses die
Arbeitslosenstatistik entlastet wird.
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29.12.2004:
Graffiti auf lebenden Organismen sind keine Seltenheit (Baum-,
Rindengraffiti, Graffiti in Bambus, Graffiti auf Panzern von
Schildkröten, ...). Hier zwei
Beispiele für Graffiti an Kakteen in Spanien.
Dokumentation
Johannes Tichy, 2004
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27.12.2004 - Weihnachtsgraffito
- Schablonenmotiv aus der Frankfurter Universität:
Copyright Saul Len, 2004
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27.12.2004:
Klograffiti - Thema
Ausländerfeindlichkeit - aus öffentlichen Toiletten in Berlin.
Erhebungszeitraum: November 2004:
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26.12.2004:
SpraycanArt,
künstlerische Graffitivarianten auf Leinwand bei einer Ausstellung
des bekannten Sprayers Helge (Bomber) Steinmann:
Copyright: Saul
Len, Frankfurter Graffiti-Archiv
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25.12.2004:
News aus Frankfurt/Main - Saul Len - satirisches Graffito oder
Graffiti-Imitation auf einem Deix-Plakat.
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21.12.2004 - News von
der Wiener Donauinsel - Wiener Längsschnittstudie der
Graffiti-Forschung
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20.12.2004
Graffiti-Kultur offiziell -
Feiertags- und Neujahrswünsche des Wiener Bürgermeisters in Form
eines Schneegraffitos:
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19.12.2004: Graffiti-Pieces - News von
der Frankfurter S-Bahn- Saul Len:
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15.12.2004: News vom Frankfurter Graffiti-Archiv
- http://graffitieuropa.org/frankfurt.htm
Beispiel zur Aktualität der
Kommunikationsform Graffiti (HARTZ), Schneegraffito, und
ein klassisches Graffiti-Motiv seit
Jahrzehnten, als Bodengraffito.
johannes tichy:
graffiti-kultur in barcelona, dezember 2004
selten zuvor sind mir in einer europäischen großstadt derartig viele spezifische eigenheiten bei graffiti aufgefallen wie bei meinem besuch in barcelona im dezember 2004. es mag vielleicht auch daran liegen, dass mir genügend vergleichsmöglichkeiten fehlen (meine letzten städtereisen führten nach
amsterdam, warschau und krakau), vielleicht hat sich auch mein blick für diese kommunikations- und ausdrucksform geschärft, also verbessert. wie auch immer: nach dieser reise ist meine überzeugung gestärkt, dass im gegensatz zu beispielsweise essen,
musik, mode, unterhaltung und lebensart bei graffiti keine globale
vereinheitlichung, kein einheitsmischmasch ensteht, eher das gegenteil. ich habe eher das
gefühl, dass diese ausdrucksform verstärkt dazu genützt wird um regionale individualität zu leben und sichtbar zu machen.
meine beobachtungen beschränken sich (nicht zuletzt aus zeitgründen) auf den innerstädtischen bereich von
barcelona, das gotische viertel, raval, also die gebiete rund um die flaniermeile la
rambla. natürlich lässt das bild der innenstadt nicht zwingend auf die seele einer stadt schließen. wer
z.b. in wien ausschließlich die city mit ihren noblen einkaufsstraßen gesehen hat, dem bleiben viele wesentliche eindrücke verborgen, die diese stadt ebenfalls zu bieten hat. die zu Frankos zeiten errichteten plattenbauten in den randbezirken von barcelona sind sicherlich eine fundgrube für graffitiinteressierte, diese stadtteile habe ich während meiner ausgiebigen stadtspaziergänge jedoch nicht erreicht.
die straßen und seitengassen der innenstadt von barcelona werden aus
„sicherheitsgründen“ permanent videoüberwacht, immerhin weisen noch hinweistafeln darauf hin, dass big brother beim treiben auf den straßen zusieht. dieser umstand hindert scheinbar jedoch keinen writer die mauern,
fassaden, rollläden der geschäfte und jeden sich bietenden quadratmeter fläche für botschaften und bilder zu nützen. fast amüsant war es zu beobachten, dass die städtische reinigung nächtens mit
hochdruck(reinigern) heftig daran arbeitete, um fassadenteile wieder farbfrei zu bekommen, während sich die sprayer tagsüber selbst vor den augen vieler passanten in seelenruhe ans werk machten. mancher hat sich dank der städtischen reinigung schon so manche dose farbe gespart, die er ohne die hochdruckentfernung als grundierung für sein werk benötigt hätte.
manche fassaden blieben von den sprayern ausgespart. zum einen jene der
nobelboutiquen, die einen eigenen wachdienst abgestellt hatten und zum anderen bestimmte altehrwürdige
bauwerke, bei denen so etwas wie ein „gentlemens agreement“, einen ungeschriebenen ehrencodex zur aussparung geben dürfte.
nun zu den techniken, die mir als weiterentwicklung der bisher mir bekannten, gängigen arbeitsweisen aufgefallen sind:
die verbreitung von klebern, mit edding-tags und/oder kunstvoll ausgeschnitten, ist mir auch schon bei uns und in anderen städten aufgefallen. neu war für mich in barcelona zum einen die größe der
kleber, mitunter bis zu mannshoch, offenbar mit
tapetenkleister auf teilweise für reinigungskräfte unerreichbare höhe
achiffiert. die kleber waren entweder (wie auch bei uns üblich) mit stift beschriftet, teilweise wurde darauf auch mit einer mischtechnik aus
farbdose, schablone, edding und kopie gearbeitet. teilweise setzte sich ein bild aus mehreren klebern zusammen, teilweise war das selbe motiv in unterschiedlichen farben über- oder nebeneinander geklebt. zum erstenmal habe ich hier auch sticker aus reflektorfolie gesehen. ebenfalls neu waren für mich bemalte kleber aus
karton, eine solche arbeit mit einem stilisiertem augenpaar ist mir bei meinen spaziergängen öfter begegnet. schablonengraffiti werden in barcelona mit aberwitziger akribie weiterentwickelt. mehrfärbige motive sind keine
ausnahme, mehrere über einen meter große schablonenmotive sind mir aufgefallen, detailreich
gearbeiten, eine bei uns doch sehr ungewöhnliche größe. ebenso aber auch winzig kleine
motive, die an verschiedenen orten unterschiedlich kombiniert wurden. die schablonen wurden teilweise derart fein gearbeitet, dass die details auf grobkörnigem untergrund leider gar nicht zur geltung kommen können.
von den mit dose gearbeiteten motiven gab es natürlich massig die klassischen
bubble-letter-arbeiten, die sich auch allerorts entlang der letzten bahnkilometer einer großstadt finden. die unterschiedliche begabung der writer ist daran wunderbar abzulesen. wirklich schöne sprayarbeiten habe ich in der innenstadt gesehen, manchmal fanden beachtliche arbeiten auf kleinsten raum platz. fasziniert haben mich jene
bilder, die zwar eine ausgereifte eigene handschrift erkennen ließen und in denen auch unverkennbar stilistische zitate zu sehen waren, die an Picasso und Dali erinnern. einzelne arbeiten fielen mir auch durch eine mehrschichtspray-, kratz- und schmiertechnik auf. das entstehen einer solchen arbeit durfte ich sogar einmal beobachten, verständlicherweise jedoch nicht beim entstehen fotografieren.
ein absolutes novum in barcelona waren bemalte fliesen, die mit fliesenkleber in nischen geklebt wurden. zuerst dachte ich nur an eine zufällige kombination
fliese/edding, doch dann ist mir diese technik relativ oft in der stadt begegnet. (Gaudi, dem barcelona großflächig seine handschrift zu
verdanken hat) hat um die jahrhundertwende in vielen seiner arbeiten fliesen und fliesenbruch zur oberflächengestaltung verwendet!).
durch zufall bin ich in meinem kleinen „stammbeisl“ mit drei leuten über graffiti zu sprechen gekommen. erstaunt hat mich die akzeptanz des kulturphänomens graffiti unter diesen um die 25 bis 35 jahre alten
leuten. eine architekturstudentin aus brasilien meinte, dass graffiti einen recht wichtigen stellenwert als kommunikations- und küntlerische ausdrucksform vor allem im städtischen bereich hätte und zum stadtbild gehörte, wie gebäude es tun. ein tontechniker aus barcelona hat mir von einem kurzfilmprojekt mit freunden erzählt, bei dem ausschließlich graffiti zu sehen waren. der tontechniker gab mir letztendlich auch den tip rund um das museum für zeitgenössiche kunst nach graffitiarbeiten ausschau zu halten.
gerne hätte ich eine runde darauf verwettet, dass die fassade des museums zeitgenössischer kunst
(macba) „leer und blütenweiß“ wäre und ich hätte recht behalten. ein wachdienst und kameras sorgten dafür, dass im und am macba nur das an kunst zu sehen war, was von offizieller seite für solche gehalten wurde. vereinzelt waren an der weißen fassade des macba spuren „entfernter“ tags zu sehen, dafür ging rund um das gebäude farbmäßig die post ab.
im museum selbst war eine installation von Antoni Tapies zu sehen, zu der ein tag auf der fassade des gebäudes gehörte. wäre dieser tag nicht in der erläuterung zur installation angeführt, man hätte meinen können ein fensterputzer hätte sich hier erstmals als writer versucht…
http://www.nnes.at/ansichtssachen.htm
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15.12.2004: aktuelle Suchergebnisse, Begriff
"Graffiti", das Institut für Graffiti-Forschung wird international an erster Stelle
gereiht.
"Unsichtbare Verbündete" - Interview
mit Mag. Norbert Siegl (Andine Degen
von der Berliner Morgenpost, 5.12.2004)
http://morgenpost.berlin1.de/content/2004/12/05/biz/720486.html
Herr Siegl, Sie untersuchen seit 1978 Sprüche, die Menschen in ganz Europa in Toiletten geschrieben haben. Was wollen diese Texte dem Leser eigentlich sagen?
Klograffiti sind vielfältig: Sie wollen provozieren und manchmal auf naive Weise die Welt verändern. Sie wollen,
dass man ihrer Meinung ist oder nach dem Lesen dieser Meinung sein wird.
Meinungsaustausch beim WC-Besuch, funktioniert das?
Ja. Die „Schreiber“ sind meistens durch das politische Zeitgeschehen motiviert. Jetzt steht
Hartz IV bevor. Man kann Angst aus Klograffiti herauslesen wie „Ausgemustert ab 42! Ab in die Kiste“. Das trifft den zweiten Klobesucher, der zu Hause gerade die Formulare ausfüllen
muss, und vergrößert den Frust. Auf der Toilette findet man unsichtbare Verbündete. Diese Texte fallen unter die Sorte: POLITISCHE STELLUNGNAHMEN. Das sind dann Themen wie Schröderpolitik, Ausländerfeindlichkeit, Arbeitslosigkeit. Ein Spruch wie“ Schröder raus“ findet mehr Mitgefühl als „Ich
muss mein Zimmer aufräumen“.
Was bewegt die „Schreiber“ zur Zeit am meisten?
Ende der 70er Jahre gab es ein Übermaß an feministischen Texten die Männerverachtung kundtaten.
Männerhass findet man heute kaum noch in Frauenklos. Als Homosexuelle noch staatsrechtlich verfolgt wurden haben sie sich eine
Kommunikations- Zone in den WCs geschaffen. Sie haben in den Sprüchen offen Sexualphantasien und Praktiken ausgetauscht, Telefonnummern hinterlassen. Noch heute
fungieren Männer Klo-Sprüche oft als Kontaktanzeige.
Klograffiti sind die informativste Form, Zeitströme subtil zu erfassen. Heutzutage kommen
auch immer mehr Sprayer auf den Geschmack. Ihnen geht es darum, ihren Namen bekannt zu machen,
ein Zeichen ihrer Individualität zu setzen, um keine weitere Aussage. Sie taggen alles was darunter steht mit ihrem Schriftzug voll.
Gibt es Stil-Unterschiede zwischen Männer- und Frauentexten?
Männer bevorzugen die klassische Reimform. Frauen stellen ein Problem ins Zentrum:
z.B: Ich liebe meinen Lehrer, was soll ich tun?“ –
Sie kann davon ausgehen, dass nach kurzer Zeit mehrere Lösungsvorschläge darunter stehen. Frauen eröffnen gern Diskussionsforen. Ähnlich wie bei einer Internet-Plattform. Ihre Art der Kommunikation ist liebevoller und sie formulieren ihre Sätze meistens aus. Männersprüche sind oft
kürzer, direkter, aggressiver...
Wer schreibt eigentlich Klosprüche?
Vor allem junge Leute. Vielleicht bis 35, 40 Jahre. Sie kommen aus allen gesellschaftlichen Schichten. Davon gehe ich aus, weil man
Klograffiti nicht in Orten wie Altersheimen findet. Sie sind v.a. in Kneipen, Universitäten und Schulen
verbreitet und stammen von Menschen die noch so bewegt vom Zeitgeschehen, von Sexualität und Politik
sind, dass sie dem oft spontan Ausdruck verleihen möchten.
Gibt es einen Zusammenhang zwischen dem Toilettenbesuch und der oft benutzten Fäkalsprache?
Das „dreckige“ Umfeld animiert manche, nicht mehr auf die Rechtschreibung zu achten, Sprachen zu vermischen und „dreckige“ Begriffe zu verwenden. „Schröder, you Arschloch!“ - das hätte der Schreiber in einem Schulheft sicher anders formuliert.
Wann ist eigentlich zu ersten mal ein Mensch auf die Idee gekommen, den stillen Ort handschriftlich zu kennzeichnen?
Diese Tradition geht zurück bis ins alte Rom. Dort fand man Zitate von Dichtern und
Philosophen in Stein eingeritzt. Während manche Mädchen heute ihre favorisierte Band, die „No Angels“ an die Tür kritzeln, haben die alten Römer ihre
Lieblings-Gladiatoren verewigt.
Was hat sie persönlich dazu gebracht Klo-Graffiti zu analysieren?
Die Toiletten der FU in Berlin waren in den 1970er-Jahren förmlich
überwuchert von hunderten Inschriften und Zeichnungen und ich
begann damit, diese Zeitdokumente fotografisch festzuhalten. Später
erfolgte dann die Analyse und wissenschaftliche Beschäftigung damit
und heute entstehen jedes Jahr einige neue Seminar- und
Diplomarbeiten von StudentInnen zum Thema.
Norbert Siegl, 52, Kommunikationswissenschaftler und Psychologe aus Wien. Seit 32 Jahren analysiert er Graffiti-Sprüche aus Europa. Einer seiner Schwerpunkte sind Klo-Graffiti. In seinem
Graffiti-Institut in Wien hat er rund 35.000 Fotos archiviert.
http://graffitieuropa.org
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