06.01.13 - Interview für eine Mainzer Studentenzeitung:
Hallo, Herr Siegl! Wir haben eben miteinander telefoniert, es ging um den Zeitungsartikel, den ich gerade für die Studentenzeitung Mainz/Wiesbaden verfasse und
wegen dem ich noch einige Fragen an Sie hätte. Ich danke Ihnen schon mal im Voraus für Ihre Mühe, über eine Antwort würde ich mich wirklich sehr freuen. Dann hier jetzt die Fragen:
Bei meiner Recherche in Mainzer Kneipentoiletten, bei der ich unterschiedlichste Kneipen untersucht habe, konnte ich feststellen, dass über die
Hälfte der Toiletten (auch Kneipen, in denen größtenteils Jugendliche verkehren) wirklich makellos weiß sind und dass auch Toiletten, die früher mit sehr vielen Graffiti bemalt waren, inzwischen renoviert worden sind und auch niemand mehr diese Toiletten bemalt hat. Ist dies ein Ausnahmefall oder ist allgemein der Trend festzustellen, dass die Leute keine Sprüche und Bilder mehr an den Wänden der Toiletten hinterlassen?
Hallo Herr ...ng! Mich würde interessieren was sie genau gefunden haben in den
Mainzer Kneipentoiletten? Ich war selber vor wenigen Tagen mit einigen jungen
Damen in Sachen Klograffiti unterwegs, da gibt's schon noch einiges: siehe:
http://www.graffitieuropa.org/news/145.htm
. Die Tendenz geht allerdings in die Richtung, dass die Toiletten immer
graffiti-freier werden - schade eigentlich. Verantwortlich dafür sind v.a. die
‚Kneipenbesitzer' - da müssten sie mit denen darüber reden was sie an den
Klograffiti stört. Bis eine ‚weiße wand' wieder Graffiti trägt kann es lange dauern, bis sich vielfältige
Kommunikation - Polyloge, Kommunikationsketten entwickeln, kann es sogar 10
Jahre lang dauern. Es liegt jedenfalls weniger an den Graffiti-Produzenten, vielmehr an den
Möglichkeiten, Klograffiti sind eine sensible und schützenswerte Gattung
der Kultur.
Mir ist aufgefallen, dass in einigen Toiletten kleine Papierzettel an den Wänden mit Kleister oder etwas ähnlichem angeklebt wurden, entweder
waren darauf Comics abgebildet oder Sprüche oder Bilder. So etwas ist mir vor einigen
Jahren noch nicht aufgefallen. Kommt es jetzt öfter vor, dass Leute statt z.B. mit einem Edding einen Spruch an die Wand zu malen, ein Papierstück mit einem Spruch an die Wand kleben?
Die Papierzettel die sie beschreiben - siehe die oben zitierte internet-adresse - sind
Sticker - also Formen und Varianten dessen, was heute als ‚Street-Art' bezeichnet wird - die sind stark im
Vormarsch - wir veranstalten dazu einen Kongress in Wien, siehe: http://www.graffitieuropa.org/kongress.htm
. Gleichzeitig sind die Sticker eine Antwort auf die Kacheln in den Toiletten, auf denen sich ja bekanntlich schwer schreiben lässt, bzw. von denen man alles leicht wieder abwischen kann.
Können Sie mir außerdem sagen, warum Menschen gerade die besondere Form der Toilettensprüche als Kommunikationsmittel nutzen, ist die Anonymität des Autors ein Anreiz?
Natürlich geht es um Mitteilungsbedürfnis, um Kommunikation und eben auch um die
Möglichkeit dabei anonym zu bleiben. Was dazu führt, dass gerade jene
Themen besonders breit und ausführlich behandelt werden, die ansonsten von der öffentlichen
Diskussion weitgehend ausgeschlossen sind.
Unterscheiden sich Toilettensprüche von Land zu Land?
In Bezug auf die großen Themen unterscheiden sie sich nicht - Sexualität
und Politik sind überall zu finden. Inhaltlich gibt's natürlich Unterschiede derart, dass in
Deutschland die speziellen Problehme der deutschen Politik und in der
Schweiz oder Österreich die der dortigen behandelt werden... Große
weltpolitisch bewegende Themen wiederum, wie etwa der Krieg im Irak, werden allerdings wieder ‚übernational'
gleichermaßen abgehandelt.
Wie sind Sie eigentlich auf Ihren Forschungsbereich gestoßen, gab es vorher schon jemanden, der sich auf diesem Feld betätigt hat und Ihnen
zur Seite stand, oder waren Sie einfach fasziniert von dieser Art der Kommunikation und haben sich dann alleine das Forschungsgebiet
erschlossen?
Im wesentlichen ist das meine Entdeckung und Erfindung. Es gibt schon einige andere Leute die sich damit beschäftigten - meist am
Rande der Disziplinen Volkskunde oder Altertumsforschung und
Archäologie und auch Künstler (v.a. im Rahmen der
Art-Brut-Bewegung) sowie der Berliner Foto-Chronist Heinrich Zille.
Die
Graffiti-Forschung ist eine wichtige (Sozial- und Kultur-)Wissenschaft und ich hatte eben die
Ehre, diesen Forschungen Struktur zu geben. Norbert Siegl
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