2007-11-14Norbert Siegl im Interview
mit der Zeitschrift the gap
Ist der Kult um Banksy berechtigt oder ein
Fall von Überschätzung?
Ich würde sagen beides: BANKSYS Einzigartigkeit und Größe liegt
weniger in der Qualität seiner Arbeiten begründet, sondern vielmehr
im geschickten Spiel mit Medien und Öffentlichkeit. Seine guten
Kontakte zu Multiplikatoren sind der eigentliche Grund seiner
Bekanntheit. Wenn die Medien die Parole ausgeben, laufen die Lämmer.
Es gibt hier in Wien einige echte Banksys, die - unbeachtet von der
breiten Öffentlichkeit - jahrelang an den Wänden dahinschlummerten.
Im Zuge der Medienberichterstattung und der Erfolge bei der Auktion
im Wiener Dorotheum sind nun schon Restauratoren damit beschäftigt,
die wertvollen Stücke von den Hauswänden zu lösen. Insofern findet
dadurch eine allgemeine Aufwertung der Graffiti-Kultur statt und
betroffene Hausbesitzer laufen nicht mehr zuerst zur Polizei,
sondern holen sicherheitshalber vorher eine Expertise ein.
Anhänger sind begeistert von Banksys "subversiven Botschaften",
Kritiker bezeichnen seine Sujets als "plump" und "plakativ". Ihre
Einschätzung?
Über manche von BANKSYS Aktionen musste ich recht herzlich lachen,
manches steht in der guten Tradition der politischen Graffiti, etwa
sein Schablonen-Protest gegen den Irak-Krieg. Seine Spielereien mit
den alten Meistern find ich ebenfalls belustigend. Dass manche
Kritiker gleich beleidigt reagieren, wenn es um die "heiligen Kühe"
des Kunst- und Kulturbetriebes geht, wirft ein Licht auf die dort
verbreitete Humorlosigkeit.
Banksys Motivwahl und seine "stencil"-Technik werden mittlerweile
weltweit kopiert. Gab oder gibt es im Graffiti-Bereich ähnliche
Fälle von Popularität und Epigonentum?
Die Motivwahl ist eindeutig originell, die stencil-Technik weniger,
die kommt ja aus dem industriellen Bereich und wirklich bekannt
wurde sie über die Arbeiten Blek le Rats, der sie erstmals hin zur
beeindruckenden künstlerischen Reife entwickelte. Zum zweiten Teil
der Frage: Als NAEGELI in den 1980er-Jahren mit seinen Arbeiten
begann und seine grafischen Wesen in der Schweiz und in D
verbreitete, war diese Graffiti-Form einzigartig, fünf Jahre später
war sein STYLE im gesamten deutschen Sprachraum zu finden,
verbreitet von vielen Nachahmern, u.a. auch in Wien. Aber noch
früher, im Biedermeier, war schon der legendäre JOSEPH KYSELAK damit
konfrontiert, dass Menschen seinen Namen einfach übernahmen und
weiterverbreiteten - sehr zu seinem Ärger - als KIESELACK oder
KIESLACK etc. Angeblich wollte er das Fremden sogar per
Gerichtverfügung verbieten lassen.
Banksy macht seit einigen Jahren Ausstellungen, wird von
Celebrities wie Angelina Jolie oder Jude Law verehrt. Seine Werke
erzielen Rekordpreise bei Auktionen. Trotzdem scheint seine
Street-Credibility keinen Schaden genommen zu haben. Wie geht das?
Letztlich liebäugeln die Street-Art-Künstler eben doch mit der
Anerkennung im offiziellen Kunstbetrieb. In diese Richtung zielen ja
auch die diversen Street-Art-Galerien und viele Künstler fahren
heute "zweigleisig". Dies ist aber auch keine wirklich neue
Entwicklung. Schon NAEGELI betätigte sich auch als Stoffdesigner und
Baumgärtels Banane findet man sowohl in den Galerien als auch als
klassisches Schablonen-Graffito außerhalb. Gerngesehen übrigens. Als
wir in den 1990er-Jahren hier in Wien den ersten Graffiti-Kongress
veranstalteten, war ein hochrangiger Professor der Angewandten sehr
enttäuscht, weil er keine Banane als Auszeichnung erhielt.
Worum geht es Graffiti-Künstlern eigentlich? Um die Rückeroberung
des öffentlichen Raums? Um politische Botschaften? Um Provokation?
Sie nennen ja einige Beweggründe und es wird so sein, dass jeweils
einige Faktoren als Motiv in Frage kommen. Die längste Tradition
haben die politischen Graffiti. Es gibt keine Partei die nicht zu
irgendeiner Zeit ihrer Entwicklung zu diesem Medium griff um die
Menschen zu erreichen: Die damals verbotene NSDAP der
Zwischenkriegszeit, die Sozialdemokraten, die "Kruckenkreuzler",
die KPÖ.
Später die ROTE ARMEE FRAKTION (RAF). Reste dieser Agitation sind
oft heute noch zu finden. Das jüngste Beispiel sind die GRÜNEN, die
in der Anfangszeit häufig ihre Forderungen so verbreiteten,
besonders ausgeprägt beim Protest gegen Zwentendorf oder gegen die
Verbauung der Hainburger Au. Also Agitation, Propaganda.
Bei den frühen Angehörigen der Writer-Kultur stand das individuelle
"Wahrgenommen werden" im Vordergrund. Mit ihren Logos, ihren Tags
setzten sie einen mutigen Akt, indem sie sich selber zum
Markenzeichen erhoben und ernannten. Der Welt zeigten, dass es sie
gibt und sie wichtig sind. Grad in diesem Bereich spielt auch die
Provokation eine große Rolle, verschärft noch durch die
komplizierten Styles, die für Außenstehende oft unleserlich und
hässlich sind und zu vielfältigen Mutmaßungen Anlass geben.
Inwieweit ist das Wissen um die Illegalität des eigenen Tuns eine
treibende Kraft?
Eingefahrene Bahnen zu verlassen hat eine eigene Romantik. Die
Romantik der Revolution, die Romantik der Illusion und die Romantik
der Vision.
Banksy sieht in Graffiti so etwas wie den basisdemokratischen
Gegenentwurf zu einem elitären, institutionalisierten und
kommerzialisierten Kunstverständnis. Stimmen Sie zu?
Das könnten ja fast meine Worte sein, Banksy sollte aber - wenn er
über Graffiti redet - über seine offensichtliche "Kunstfixierung"
hinausdenken. Als Graffiti-Forscher ist mir jedes gekratzte Symbol
an einer Hauswand ebenso wichtig wie Banksys Kunstwerke. Und
Graffiti gibt's seit es die Menschheit gibt, an dieser Kulturform
waren und sind Millionen Menschen beteiligt, da braucht es keinen
Banksy, um diese zu belehren!
Welche gesellschaftspolitische Relevanz haben Graffiti? Sind
besprayte Wände quasi die Leserbriefseiten eines politisch und
medial unterrepräsentierten Proletariats?
Graffiti sind die Zeichen der Zeit! Alle wichtigen
gesellschaftlichen Themen werden über Graffiti transportiert - meist
oppositionell - meist dem mainstream widersprechend. Und oft
progressiv, in neue geistige Richtungen weisend.
Werden Graffiti inzwischen als eigene Kunstform wahrgenommen?
Nachdem Graffiti weit mehr sind als Kunst, nämlich basales
Kommunikationsbedürfnis von Menschen, wäre dies eine völlig
unzulässige Einschränkung. Graffiti sind lebende Auseinandersetzung
mit der Umwelt und den Problemen der Zeit, manches davon mag als
Kunst zu bewerten sein. Dieser Anteil ist aber sicher nicht der
wirklich wichtige.
Trotzdem ist es natürlich beachtlich, welche Kunstfertigkeit,
welches handwerkliche Geschick die jugendlichen Angehörigen der
Spraydosenkultur entwickelten. Und somit dem Kunstbetrieb mit ihren
Dosen und caps ein völlig neues Instrumentarium erschlossen.
Wird man von anderen Forschungsdisziplinen
eigentlich belächelt, wenn man sich mit dem Phänomen Graffiti
wissenschaftlich befasst? Worin besteht für Sie die Notwendigkeit
einer solchen Auseinandersetzung?
Die Arroganz der Etablierten gibt es. Andererseits hat inzwischen
jedes kleine Universitätsinstitut im deutschsprachigen Raum ihre
eigene - meist nach- und abgeschriebene - Diplomarbeit in der
Bibliothek stehen. Und dagegen wiederum gibt's unsererseits eine
Arroganz diesen Zuspätgekommenen gegenüber.
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